Der Deutsche Bundestag hat am 6. November 2015 über das Thema Sterbehilfe diskutiert. Diese Frage berührt ethische, medizinische und rechtliche Grundfragen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ein schwerstkranker Mensch steht am Ende eines langen Leidensweges, hat unerträgliche Schmerzen und keine Hoffnung, keinen Lebensmut mehr. Ist es in dieser Situation Ausdruck von Mitmenschlichkeit, ihm auf seinem letzten Weg helfend zur Seite zu stehen und darf dies gegebenenfalls auch durch einen Arzt erfolgen? Oder muss der Gesetzgeber ein klares Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung aussprechen?
Hier eine Entscheidung zu treffen fällt nicht leicht – mir nicht und keinem meiner Kollegen. Die Debatte im Deutschen Bundestag war daher sehr intensiv, emotional und auch nachdenklich. Sie hat mich auch persönlich sehr bewegt. Wir müssen dabei behutsam fundamentale Werte wie die Menschenwürde, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und den Schutz des Lebens in Einklang bringen. Ein richtig oder falsch gibt es nicht – nur eine vorsichtige, sehr persönliche Abwägung der widerstreitenden Prinzipien. Am Ende entscheiden die individuell empfundene Menschlichkeit und das Gewissen jedes Einzelnen. Wir sind daher der guten parlamentarischen Tradition gefolgt, dass bei den großen Fragen von Leben und Tod die Fraktionszugehörigkeit keine Rolle spielt. Jeder einzelne Abgeordnete war in seiner Entscheidung frei.
Insgesamt gab es vier fraktionsübergreifende Initiativen. Diese reichten von einem strikten, strafrechtlichen Verbot der Sterbehilfe über ein Verbot nur der „geschäftsmäßigen“ Sterbehilfe bis hin zu einer Anerkennung einer ärztlichen Beistandsmöglichkeit unter bestimmten Voraussetzungen. Ich persönlich war mit vielen Kollegen der Auffassung, dass es Dinge gibt, die sich einer gesetzlichen Regelung entziehen. Wer einen Grenzfall als zulässige Ausnahme normiert, macht diese schnell zum Normalfall. Deswegen war ich für eine Beibehaltung des bestehenden rechtlichen Rahmens, der sich aus meiner Sicht bewährt hat. Ich habe daher gegen die vorgelegten Gesetzentwürfe gestimmt. Ich möchte Ihnen gern erläutern, was dabei meine tragenden Beweggründe waren.
Für mich ist klar: Hilfe beim Sterben ist immer besser als Hilfe zum Sterben. Menschen, die von schwerer Krankheit und von Schmerzen gezeichnet und dem Tode nahe sind, brauchen vor allem Trost und Zuspruch ihrer Familie und Freunde. Erhalten sie zudem eine optimale medizinische und palliative Versorgung, können viele wieder neuen Lebensmut schöpfen. Niemand soll aus Angst, einsam, allein und unter Schmerzen aus dem Leben zu scheiden, den Suizid für sich als Ausweg wählen müssen. Deshalb müssen wir die Versorgung Sterbender in der häuslichen Umgebung sowie in Hospizen, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern verbessern. Einen wichtigen Schritt haben wir dabei mit dem gestern vom Bundestag verabschiedeten Hospiz- und Palliativgesetz getan.
Es gibt aber Fälle, in denen selbst die beste Schmerzmedikation, die beste Pflege und liebende Angehörige es nicht vermögen, dem Sterbenden neue Hoffnung zu verleihen. Das sind Fälle, in denen sich der Betroffene nicht nur eine Hand wünscht, die die seine beim Sterben hält, sondern die ihm beim Sterben hilft. Darf der Gesetzgeber eine solche Entscheidung im Angesicht des nahenden Todes bewerten und daran sogar Sanktionen knüpfen? Ich glaube, nein.
In Deutschland ist der Suizid straflos. Seit über 150 Jahren. Das ist Ausfluss der Menschenwürde, deren Kern das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen ist. Weil dies so ist, ist auch die Hilfe zum Suizid straflos. Mit Blick auf die Schicksale und das Leiden schwerstkranker Menschen war ich daher zutiefst davon überzeugt, dass ein striktes Verbot der Sterbehilfe und die Bestrafung derer, die Hilfe leisten, nicht der richtige Weg ist. Auch möchte ich nicht dem Betroffenen den Gewissenskonflikt aufbürden, dass die ausdrücklich gewünschte und als erlösend empfundene Sterbehilfe nachträglich für seine Angehörigen oder den behandelnden Arzt zu strafrechtlichen Konsequenzen führt. Deswegen war für mich von Anfang klar: Ich kann keiner Regelung zustimmen, die die Lösung im Strafrecht sucht.
Auf der anderen Seite wollte ich vermeiden, dass der ärztlich assistierte Suizid zur Normalität wird, dass er gleichsam als logisches und konsequentes Ende einer schweren Krankheit betrachtet wird. Der Suizid und damit auch die Sterbehilfe muss eine Ausnahme bleiben. Aus diesem Grund war ich gegen eine weitgehende Liberalisierung. Eine solche könnte letztlich den psychisch-sozialen Druck auf alte und schwerkranke Menschen erhöhen, diesen Ausweg zu wählen. Ich will aber nicht eine gesellschaftliche Entwicklung, wo Sterbende womöglich das Gefühl haben, sich „rechtfertigen“ zu müssen, weil sie die mit ihrer Erkrankung einhergehenden Belastungen ihren Angehörigen oder gar der Gesellschaft aufbürden und nicht Hilfe beim Freitod in Anspruch nehmen. Deswegen konnte ich den Gesetzentwürfen, die als Signal in diese Richtung – wenn auch falsch – verstanden werden konnten, nicht meine Zustimmung geben.
Dagegen ist die bestehende Rechtslage aus meiner Sicht austariert und führt zu angemessenen Ergebnissen. Der Suizid und die Hilfe hierzu sind wie dargestellt straflos. Aktive Sterbehilfe oder die Tötung auf Verlangen sind und bleiben strafbar. Das ist richtig. Organisationen, die geschäftsmäßig Sterbehilfe anbieten und damit einen kommerziellen Zweck verbinden, will ich nicht. Man kann ihnen aber schon heute wirksam entgegentreten. Erst in den letzten Tagen hat sich im Gespräch mit den Menschen, die tagtäglich sterbende und schwerstkranke Patienten betreuen, meine Auffassung bestärkt, dass wir keine Gesetzesänderungen benötigen. Wahr ist: Das Berufsrecht der Ärzte verbietet in vielen Fällen, Sterbenden beizustehen. Ärzte befinden sich damit in einem schwierigen Gewissenskonflikt, nämlich den Betroffenen zu helfen, der Straffreiheit der Suizidhilfe und ihrem berufsrechtlichen Verbot. Wahr ist aber auch: Die Ärztekammern und die Gerichte gehen mit den berufsrechtlichen Regelungen sehr verantwortlich um. Bislang sind noch keinem Arzt durchgreifende berufsrechtliche Sanktionen widerfahren, der einem Sterbenden im Einzelfall Hilfe gewährt hat. Eine ausdrückliche, gesetzliche Erlaubnis der ärztlichen Sterbehilfe ist daher nach heutiger Rechtslage nicht erforderlich.
Die Entscheidung über Leben und Tod sowie darüber, wie viel Schmerz ein schwerstkranker Mensch am Ende seines Lebens ertragen kann, ist und bleibt eine zutiefst persönliche. Sie ist eine Gewissensentscheidung – für den betroffenen Patienten ebenso wie für den Arzt oder Angehörigen, der ihn begleitet. Das ist gut. Dabei hätte es der Gesetzgeber aus meiner Ansicht belassen sollen. Mit Verboten oder noch mehr rechtlichen Regelungen kann der Staat diesen sehr persönlichen Gewissenskonflikt nicht auflösen.
Der Deutsche Bundestag hat am 6. November mehrheitlich anders entschieden: Die organisierte, geschäftsmäßige Sterbehilfe ist künftig unter Strafe gestellt. Damit ist insbesondere die auf Wiederholung angelegte Hilfe zur Selbsttötung strafbar. Inwieweit diese strafrechtliche Regelung im Interesse der betroffenen Patienten und Ärzte ist, wird sich in der Zukunft erweisen. Ich hoffe zutiefst, dass dem letzten Willen von schwerstkranken Menschen auch weiterhin mit Respekt und Achtung Rechnung getragen wird.
Ich weiß, dass nicht jeder von Ihnen mein Abstimmungsverhalten für richtig halten wird. Ich hoffe aber dennoch, dass ich Ihnen die Beweggründe für meine Entscheidung näher bringen und vielleicht auch etwas Verständnis wecken konnte.
Ihr Jan-Marco Luczak